Neues Album von Patrice: „9″
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Patrice: Gestern Reggae, heute Songwriter
Exklusiv In seiner 20 Jahre währenden Karriere hat Patrice mit „9“ sein bislang homogenstes Album vorgelegt. Es enthält reichlich akustisches Instrumentarium auf Afrobeat-Basis.
Der Kerpener Kosmopolit Patrice befreit sich mit seinem neuen Album „9“ endgültig von offensichtlichen Genre-Zugehörigkeiten. Dem Abschütteln des oftmals auf ihn projizierten Etiketts „Reggae-Künstler“ ging eine intensive Seelensuche voraus. Sieben Jahre lang sammelte und reflektierte der 44-Jährige Selbsterkenntnisse, die er im Nachgang destillierte. Aus den gewonnenen inhaltlichen Essenzen formte er schließlich mehr als hundert Songs.
Die schiere Menge an Material hätte manch anderen Musiker sicher überfordert. Patrice hingegen ließ jeglichen Abgabedruck an sich abperlen. Im Laufe der Zeit kristallisierten sich neun Stücke heraus, die eine zusammenhängende Geschichte ergeben. Es mag angesichts der Fülle an Ideen skurril erscheinen, dass die neue Platte gerade mal eine knappe halbe Stunde Gesamtspielzeit aufweist.
Des Album-Erzählstrangs wegen verzichtete der ewig neugierige Weltenbummler jedoch aufs Ausweiten von Text- und Musik-Motiven. Das Resultat gibt ihm unbedingt recht. „9“ ist seine bislang bündigste und homogenste Studioeinspielung.
Es ist reichlich akustisches Instrumentarium am Werk. Einladend-warm und sinnlich geleiten Gitarrenakkorde ins Album, zeitlos-klassisch und ausdrucksstark. Aufs Notwendigste reduzierte Trommeln geben entspannte Pulsfrequenzen vor. Der Bass dreht dazu Harmonie gebende Runden, subtil, ohne der Atmosphärendichte an den Kragen zu wollen.
„Become Who You Are“ heißt das Stück. Der Titel ist Programm und Appell zugleich: Bemühe dich nicht, Persönlichkeitsmerkmale heraufzubeschwören, die nicht zu dir gehören. Werde, der du bist! Nietzsche auf Afrobeat-Basis gab’s faktisch bislang noch nicht zu hören.
In der just begonnenen Mitte seines Lebens kann Patrice im Kontext solcher Zitate aus dem Vollen schöpfen. Wie unzählige Musikkreative vor ihm startete er seine andauernde Karriere mit Anfang 20. Im darauffolgenden Jahrzehnt, das klassischerweise von der Dramaturgie des Hormonellen gelenkt wird, erspielte er sich eine beständig-loyale Gefolgschaft. Vor allem in Frankreich, Belgien, Deutschland und der Schweiz wurden seine Alben zu Daueranwärtern der vordersten Plätze in den jeweiligen Verkaufshitparaden. In Paris füllte er mühelos jene Ruhmeshallen der Popmusik, in denen vor ihm bereits Größen wie Prince ihre Konzerte mitschneiden ließen.
Mit 26 wurde er Vater. Sein Sohn, erzählt er stolz, sei gerade 18 geworden. Der habe seine Kindheit erfolgreich überlebt, scherzt Patrice übers Telefon. Er ist gerade auf Tour und stellt am Abend nach dem Gespräch Teile seines neuen Albums in einem Theater nahe der Metropole an der Seine live vor. Redete man früher mit ihm über seine Platten, hing praktisch immer das Damoklesschwert der Zuordnung unsichtbar in der Luft.
Patrice galt gefühlte Ewigkeiten als Hohepriester des Reggae. Beständig drehte sich jeder Gedankenaustausch mit ihm um die Frage, welche Form der jamaikanischen Musikspielart er auf jeweils neuen Platten im Schilde führte.
„9“ lässt derlei Erkundigungen rundweg überflüssig erscheinen. Deutlicher als je zuvor begreift er sich derzeit nämlich als Songwriter. Selbstverständlich fußen seine neuen Stücke weiterhin auf Reggae-Taktungen. Denen räumt er allerdings seltener vordergründige Treibkraft ein. Heute lässt er häufiger Rhythmen und traditionelle Skalen aus Afrika und dem afroamerikanischen Soul den Ton angeben.
Im aufwühlend arrangierten Song „Sentinel“ lässt er Moll-starke Streicher um eine kleine, expressive Pianomelodie kreisen. Die auf Dancehall-Taktung basierende Spannung bricht eine Querflöte. Ähnlich beeindruckend abwechslungsreich geht es auf dem ganzen Album weiter. Eine alte Hammondorgel lässt das inhaltlich widersprüchliche „Such Is Love“ mit quietschend-vergnüglichen Tönen in luftige Höhen steigen. Der darunter liegende Beat sorgt unterdessen für die nötige Schwerkraft.
Auf bauchigem Afro-Soul basiert „Sun Is Out“, zu dem Patrice seinen feinsten Falsett-Gesang bemüht. „I Am An Alien, I Am A Legal Alien“, singt er in „Undefined“, einer akustisch gedeuteten Form des eigentlich elektronischen Dance-Beats. Den Zitaten-Verweis auf Stings Hit „Englishman In New York“ hat er als Huldigung in den Text eingebaut. Im Verbund mit The Police habe Sting ja schließlich Pionierarbeit in Sachen eigenständiger Auffassung jamaikanischer Musik geleistet, meint er. Unterstützung beim Aufspüren moderner afrikanischer Metrik-Arten fand der Globetrotter hingegen im Senegal.
Der Produzent 2B On The Beat half in der westafrikanischen Republik unter anderem dabei, „9“ den rhythmischen Feinschliff zu geben. Während die Popwelt derzeit auf der Suche nach Inspiration vor allem nach Nigeria schaut, genoss Patrice das unaufgeregte Kreativsein im Senegal. Die dort in der Luft liegende Energie empfand er als cool und entspannt, wie er sich erinnert.
Skizzenartige Songs wie „No Want“ werden dann auch prompt von jener nonchalanten Dynamik getragen, die er in dem Land am Atlantik vorfand. Das Hüllenfoto des Albums entstand indes viel weiter nördlich an einem Strand in Holland. Umgeben von neun Leuchten ist Patrice darauf in der Abenddämmerung vor Wellenbewegungen zu sehen. Eine Fotomontage ist das nicht.
Man habe mit Akkus gearbeitet, erzählt er. Sollen die Lampen suggerieren, dass ihm während der Entstehung von „9“ gleich mehrere Lichter aufgegangen sind? „Das Wichtigste am Menschsein ist nicht das Ankommen an einem Ziel, sondern der Versuch, Widersprüche, die wir alle in uns tragen, zu akzeptieren“, sagt er. Mit diesem Gedanken setzt er sich in seinem momentanen Lebensabschnitt intensiv auseinander. Alles absorbieren, den Kopf wie eine Antenne zu nutzen, sei sein künstlerisches Leitmotiv, resümiert er.
Die unterschiedlichen Ecken der Welt, in denen er sich zu Hause fühlt, helfen ihm dabei, sich selbst aus verschiedenen Perspektiven betrachten zu können. Darüber lassen sich die „9“-Songs aus: verbindlich und mit warmherziger Menschenliebe.
Patrice: „9“ erscheint am 3. November 2023 bei Supow Music/Urban/Universal.
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